Europa – what’s left?

11 Thesen zum Auftakt in einen neuen europapolitischen Dialog

1.  Für ein Ja zu einer demokratischen, sozialen und friedlichen EU!

Die europäische Idee eines gemeinsamen politischen Projekts entspringt dem Antifaschismus. In der dunkelsten Stunde schrieben die eingekerkerten Antifaschisten um Altiero Spinelli 1942 das „Manifest von Ventotene“. An dieses leidenschaftliche Programm für ein geeintes, soziales und friedliches Europa, für eine „europäische Föderation“, wollen wir anknüpfen.

Die Folgen multipler Krisen wie der Klimawandel, Flucht, Pandemie, Kriege wie in der Ukraine, der Anstieg der Energie- und Lebenshaltungskosten sowie der Aufstieg der Rechten erfordern Eindeutigkeit und klare politische Festlegungen hinsichtlich der Entwicklungsperspektiven der EU.

Wir brauchen eine starke LINKE auch im Europaparlament, um u. a. für das Recht auf Energie, für starke Gewerkschaften, gute Mindestlöhne, Kulturaustausch, Datenschutz, gerechte Digitalisierung und Klimaschutz zu kämpfen. Bei den Entscheidungen zum Asbestverbot in Gebäuden, der Sicherung der Rechte der Plattformarbeiter*innen, bei den Kampagnen „Recht auf Energie“ und „Keine Profite mit der Pandemie“ hat die linke Fraktion im Europaparlament gezeigt, was alles in ihr steckt. Wir setzen weiterhin auf Kritik kapitalistischer Wirtschaftslogik, sozialen und demokratischen Protest und konkrete Alternativen (z. B. Patente freigeben, Finanztransaktions- und Digitalsteuern, Mindestlohn, demokratische Teilhabe, humane Asylpolitik).

Daher muss DIE LINKE bei der nächsten Europawahl gegenüber dem „Weiter So“ der technokratischen Mitte und dem „Zurück“ der nationalchauvinistischen Rechten mit einem klaren „JA“ für einen grenzübergreifenden Ausbau demokratischer Institutionen einstehen.

Das heißt konkret: Partei ergreifen für eine europäische Föderation und einen sozial-ökologischen Umbau der EU hin zu einer Stütze einer friedlichen Weltordnung und einem kooperativen internationalen Handel. Wir beginnen nicht bei null, im Gegenteil: In der ganzen EU schließen sich längst Menschen zusammen, um ihr Leben zu verbessern. Sie kämpfen für bezahlbare Wohnungen, gegen Stromsperren, streiken für gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor, kämpfen gegen Freihandelsabkommen, organisieren die Ankunft von Flüchtenden, fordern sichere Fluchtwege oder verhindern die Privatisierung des Wassers. Sie stellen genossenschaftlich Öko-Strom her, lernen und arbeiten über Grenzen hinweg.

2.  Für eine europäische Föderation

Wir wollen endlich eine föderale EU, die das gemeinschaftliche politische Handeln in den Mittelpunkt stellt, um die aktuellen grenzübergreifenden Krisen lösen zu können. Dafür muss die EU keinem Modell eines souveränen Staates folgen. Das ist kein Modell für eine Linke, die in Kooperation und Solidarität mit anderen Staaten, Völkern und Gemeinschaften ein Gutes Leben für Alle erkämpfen will. Wir wissen, dass Che Guevaras „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker!“ heute mehr denn je stimmt.

Verbindungen und anerkannte Abhängigkeiten zwischen Menschen und Gemeinschaften sind nicht nur real, sondern auch die Lösung – wenn sie solidarisch und kooperativ gestaltet werden.

Konkret bedeutet ein solches selbstbewusstes, aber abhängiges und verbundenes Europa, dass wir zunächst einer massiven Demokratisierung bedürfen. Daher wollen wir, dass auch die EU-Kommission und der Europäische Rat den Menschen gegenüber rechenschaftspflichtig sind und Forderungen Europäischer Bürger-Initiativen demokratisch umsetzen.

Am 9. Mai 2022 endete die Konferenz zur Zukunft der Europäischen Union – über ein Jahr diskutierten per Los ausgewählte Bürger*innen ihre Vorstellungen zur Weiterentwicklung der EU – mit einem Bericht, der den Präsident*innen der gesetzgebenden EU-Institutionen (Parlament, Rat, Kommission) übergeben wurde. Im Europaparlament gab es erste Entscheidungen, diese 49 Vorschläge, untersetzt mit zahlreichen konkreten Maßnahmen, jetzt im regulären parlamentarischen Verfahren zu bearbeiten, darunter ein Europäischer Aktionsplan zur Stärkung der Demokratie, der das geplante Medienfreiheits-Gesetz ergänzen wird. Das sind Schritte in die richtige Richtung, aber sie reichen bei weitem nicht. Wir fordern, dass die 49 Vorschläge der Konferenz die Arbeitsgrundlage der nächsten Kommission werden und fordern die Kandidat*innen zur Kommissionspräsidentschaft auf, sich vor dem Wahlkampf dazu öffentlich zu positionieren. Wir erwarten, dass ein begleitendes Bürger*innen Gremium eingesetzt wird, um die Umsetzung der Ergebnisse der Zukunftskonferenz zu überwachen.

Bisher ist die EU nur in den Bereichen Außenhandel, Wettbewerb und Währung handlungsfähig. Auf anderen Politikfeldern sind aufwendige Abstimmungsprozesse zwischen Mitgliedstaaten und EU-Institutionen erforderlich. Dies ist unter anderem mit Blick auf die dringend notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakatastrophe oder auch der solidarischen Aufnahme Geflüchteter hinderlich. Die multiplen Krisen und alle zukünftigen Herausforderungen lassen sich nur durch gemeinschaftliches politisches Handeln, das klaren Verpflichtungen auf EU-Ebene unterliegt, lösen.

Wir wollen die Dauerblockaden innerhalb der EU durch ihren Ausbau zu einer europäischen Föderation mit einer echten parlamentarischen Demokratie lösen. Das heißt: Das Europaparlament soll ein Vollparlament mit allen Rechten (Gesetzgebungskompetenzen) werden, die Kommission eine echte Ministerialebene, die z. B. vom Parlament gewählt wird, und der Rat sollte in eine zweite Kammer umgewandelt werden. Zugleich fordernd wir eine stärkere und verbindliche Mitbestimmung durch die Regionen durch eine verbindliche Mitbestimmung des Ausschusses der Regionen.

Die deutsche Linke fordert Verfassungsänderungen des Lissabon Vertrages in vielen Sektoren, aber wir wollen auch das deutsche Grundgesetz dahingehend ändern, dass die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes nicht mehr die Integration der EU behindern. Deutschland kann sich nicht mehr leisten hinter angeblich demokratieschützenden Maßnahmen des BVerfG verbergen. Deutschland hebelt mit seinem Verfassungsgericht regelmäßig die Kompetenz und damit gemeinschaftliche Lösungen weltweiter Herausforderungen durch die EU aus.

Eine progressive Reform der EU wäre ein echtes Bündnisprojekt. Die EU als Europäische Föderation ist – siehe Energiesicherheit & Klimaschutz – längst ein Thema für verschiedene Teile der Gesellschaft. Hier treffen sich das linke Anliegen der Verteidigung einer Zukunft für alle und die Interessen bestimmter Kapitalfraktionen, die auf Stabilisierung der EU durch deren sozial-ökologische Modernisierung zielen.

Mit einem Konvent zur Änderung der Verträge, den wir nachdrücklich unterstützen, können wir für diese europäische Föderation als Gegenmodell zur derzeitigen EU viele Freund*innen finden. Die Transformation der EU in die europäische Föderation ist dabei ein langfristiger Prozess, der erst abgeschlossen ist, wenn sich die europäischen Bürger*innen gemeinsam eine Europäische Verfassung geben und sich in einem föderalen europäischen Bundesstaat vereinigen.

3.  Europäische Investitionsbremse lösen!

Mit der Krisenbewältigung nach der Pandemie wurden umfassende Investitionsprogramme auf den Weg gebracht und erstmalig der Stabilitäts- und Wachstumspakt hinterfragt. Letztlich ist schon seit der Eurokrise nötig, dass Linke die Debatte um eine Neuausrichtung einer Europäischen Wirtschafts- und Finanzarchitektur mitbestimmen. Die mit dem Krieg in der Ukraine spürbare Inflation erhöht nochmals den Druck, eigene Vorschläge, von einer Digitalsteuer bis zur Übergewinnsteuer, von der Finanztransaktionssteuer bis zum Aufgabenprofil der EZB in die politischen Auseinandersetzungen zu bringen. Ein langfristiges öffentliches europäisches Investitionsprogramm, wie es derzeit mit eigener Schuldenaufnahme durch den EU-Haushalt mit dem Recovery-Fonds Next Generation EU möglich geworden ist, baut auf der europäischen Regional- und Strukturförderung auf.

Zusätzlich sind auch dauerhafte EU-Eigenmittel notwendig, die beispielsweise durch eine Finanztransaktionssteuer oder die Besteuerung von Vermögen oder Unternehmen oder auch Übergewinnen von Unternehmen, die aufgrund von Krisen enorm profitiert haben (bspw. Energiekonzerne), gebildet werden.
Ein gut ausgestatteter EU-Haushalt (ca. in Höhe von 10% des BSP) ermöglicht das makroökonomische Zusammenwachsen der Volkswirtschaften, einen größeren Handlungsspielraum bei notwendigen Investitionen angesichts der derzeitigen Krisen (beispielsweise die Gegenfinanzierung von Next Generation EU), sowie die Weiterentwicklung einer sozialen und ökologischen EU. Somit könnten wir die damalige Fehlkonstruktion des Euro auflösen und zu einer Politik gelangen, die nicht auf Wettbewerb und ausschließlich auf wirtschaftliches qualitatives Wachstum ausgerichtet ist, sondern das gemeinschaftliche Agieren im Sinne der in der EU lebenden Menschen und der Umwelt in den Mittelpunkt stellt.

Das gegenwärtige Handeln der EZB zum Abmildern der Inflation, die für viele Bürger*innen als handfeste Lebenshaltungskostenkrise erlebt wird, sind grundfalsch. Eine angebotsverursachte Kostensteigerung kann nicht durch Geldpolitik verändert werden. Außer man will die Wirtschaft komplett abwürgen. Die Ursache der gegenwärtigen Inflation ist eine Preis-Preis-Spirale, keine Lohn-Preis-Spirale. Der wahre Grund ist die „Gierflation“ und die Schonung der Krisengewinner.

Wir sollten die finanzpolitische Art der Krisenintervention durch die Generierung von Eigenmitteln auf Dauer stellen, um die sozialen und ökologischen Krisen in ganz Europa endlich zu beenden. Dadurch werden mehr Möglichkeiten geschaffen, global eine gerechte Politik und die Sustainable Development Goals der UN bis 2030 auch umzusetzen, statt Abschottung, Protektionismus und Eurozentrismus in Gesetze zu gießen. Auch vor dem Krieg in der Ukraine war die EU-Politik mittelbar an Hungersnöten in anderen Regionen und einer dauerhaften fragilen Abhängigkeit des globalen Südens von internationalen Hilfsfonds beteiligt.

4.  EU-Binnenmarkt und internationale Wirtschaftsmacht regulieren!

Der erste Schritt die Wirtschaft innerhalb der EU zu reformieren, ist die Stärkung der Rechte der Gewerkschaften. Nur durch organisierten Widerstand der Klasse der Lohnabhängigen, Plattformarbeiter*innen, Soloselbständigen kann die Demokratie in Wirtschaft und dem politischen System gestärkt werden. Konzerne von Google bis IKEA, von Bayer-Monsanto bis Goldman Sachs sind international aufgestellt. Die letzte Pandemie und der Krieg in der Ukraine zeigten jedoch deutlich, wie anfällig internationale Lieferketten und einseitige Abhängigkeiten insbesondere bei Energieressourcen und Getreide sind und erinnerten die Handelnden in der EU auch daran, dass zu free software auch fair hardware gehört. Die internationalen Konzerne verdienen jedoch weiterhin am Wettlauf nach unten bei Löhnen und Steuern. Sie profitieren zusätzlich von Maßnahmen der Krisen- und Konfliktbekämpfung (Beispiel: Tankrabatte). Als Europäer*innen lösen wir die Machtkonzentrationen, die bei den Digitalkonzernen bis zu Eingriffen in unsere demokratischen Aushandlungen reichen, nicht durch nostalgisches Schwärmen vom „Zurück zum alten Nationalstaat“ auf.

Wir wollen Europa weder strammen neoliberalen Politiker*innen noch Orbán & Co überlassen. Unternehmen müssen dort Steuern zahlen, wo sie Geld verdienen, die Monopolstruktur der heutigen Unternehmen ist aufzubrechen. Dafür brauchen wir in der EU abgestimmte Steuersätze und ein Ende von Steuerschlupflöchern. Wir brauchen diese gemeinsam erwirtschafteten Ressourcen, um sozial und ökologisch zu investieren. Von der Leyen hatte, um als Präsidentin der Kommission gewählt zu werden, den sog. Green Deal versprochen. Er stellt zum einen zwar einen guten ersten Schritt zu einer besseren Wirtschaftsform dar. Wenn sich die neoliberalen Kräfte jedoch durchsetzen können, dann ist der Green Deal nichts als ein Wachstumsprojekt eines angegrünten Kapitalismus. Von der Leyen hat in ihrer letzten „State of the Union“ Rede im September 2022 nichts Relevantes zu einem sozialen Europa, Gewerkschaften oder der Sozialen Säule sozialer Rechte gesagt. Worum es ihr vor allem geht, ist Wachstum im Digitalen Bereich zu fördern und durch eine Begrünung der EU-Wirtschaft neue Exportchancen zu generieren. Aktivistinnen in Brüssel sagen, dass es um einen doppelten Extraktivismus geht, zum einen von Daten, und zum anderen von Rohstoffen – als Linke müssen wir konsequent von einer dreifachen Ausbeutung sprechen und die der Arbeiter*innen und festhalten, dass die Folgekosten eines kurzsichtigen Green Deal und einer Digitalisierung ohne soziale und demokratische Dimension und ohne einen konsequenten Umbau der energetischen Basis der ganzen Gesellschaft, wir genauso wie der globale Süden tragen werden.

Die Linke muss also dafür sorgen, dass die individuellen Daten, die wir alle als Bürger*innen unweigerlich produzieren, nicht von privaten Unternehmen angeeignet werden. Hierbei können wir z. B. von links regierten Städten wie Barcelona lernen. Zum anderen müssen wir dafür sorgen, dass die Rohstoffe, die wir für die grüne Wende tatsächlich schürfen müssen, in einer Art und Weise gewonnen werden, dass die lokalen Gemeinschaften davon profitieren, die Arbeitsbedingungen optimal sind, und die Umwelt maximal geschützt wird.

5.  Investitionen für Klimagerechtigkeit, Emanzipation, Daseinsvorsorge – Demokratie boostern!

Um den Klimawandel noch zu stoppen, brauchen wir dringend Investitionen in erneuerbare Energien, Bus und Bahn, grenzüberschreitenden Zugverkehr sowie Energieeffizienz. Wir müssen den sozial-ökologischen Umbau anpacken und dabei neue nachhaltige Arbeitsplätze in den betroffenen Sektoren (bspw. den ehemaligen Kohle- und Autoregionen) schaffen. Mit dem Just Transition Fonds hat die EU auf die Abfederung des Strukturumbaus reagiert. Beim gesamten Strukturwandel, der im Energiesektor, in der Stahlproduktion und der Automobilproduktion abläuft, muss ein „gerechter Übergang“ sichergestellt werden: d. h. die Gewerkschaften müssen den Wandel gestalten und für jeden Arbeitsplatz, der wegfällt, muss ein alternativer nachhaltiger Arbeitsplatz geschaffen werden. Dieser muss natürlich gut bezahlt und gewerkschaftlich organisiert sein, sowie unter die Tarifbindung fallen. Wir brauchen eine europäische Industriepolitik für den Aufbau einer europäischen Mobilitätsindustrie: für Schienenfahrzeuge und Busse, die so dringend gebraucht werden.

Mit dem EU-Programm Fit for 55 zum Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaschutz hätte die EU die Antiklima-Koalition großer Wirtschaftslobbyisten ausbremsen können. Das ist nicht geschehen, so dass in großen Teilen Neuverhandlungen anstehen und wir alle Zeit verloren haben. Wir dürfen nicht lockerlassen und uns aktiv in die soziale und demokratische Profilierung dieser Programme für die Bewältigung des industriellen Strukturwandels einmischen.
Die Linke fordert in Verbindung mit Wissenschaft und Klimagerechtigkeitsbewegung mindestens ein „Fit for 65“. Die Linke ist auch gegen den wissenschaftlich nicht zu rechtfertigenden Ausbau der LNG-Gas Infrastruktur in Deutschland und Europa und fordert zugleich einen ökologisch nachhaltigen Gas-Ausstiegssplan von der Bundesregierung und der EU:
Für die Neugestaltung des EU-Strommarktes fordern wir ein „Recht auf Energie“, d. h. auf europäischer Ebene müssen Energiesperren verbindlich verboten werden. Energie gehört zur Daseinsvorsorge und muss vergemeinschaftet werden.

Emanzipation gilt für die ganze Gesellschaft. Gewalt gegen Frauen und Hassverbrechen müssen EU-weit strafrechtlich verfolgt werden. Gleichstellungspolitisch ist die EU keine Insel der Seligen, doch sie hat viel erreicht, woran wir auch in den Mitgliedstaaten anknüpfen können und müssen. „Wir sind viele!“, wenn wir endlich in einen Dialog mit Menschen über ihre Europäischen Lern- und Berufserfahrungen eintreten, Menschen, die die Freizügigkeit in der EU nutzen können und auch wissen, dass diese Art Mobilität, Bildungs- und Kulturaustausch für jede*n möglich sein sollte.

6.  EU sozial gestalten

Im Jahr 2021 hat die EU-Kommission einen Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Säule sozialer Rechte vorgelegt, mit dem Ziel, Armut in der EU zu bekämpfen, die Beschäftigungsquote zu steigern und die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen für die arbeitende Bevölkerung zu ermöglichen. Doch um aus der EU eine echte Sozialunion zu machen, bedarf es fester und verbindlicher Standards. Sowohl beim armutsfesten Mindesteinkommen oder auch dem Verbot von prekärer Arbeit, der Ausweitung von Tarifverträgen oder der Bekämpfung von Obdachlosigkeit. Bereits die Corona-Krise hat zahlreiche Menschen in die Arbeitslosigkeit getrieben. Dieser Trend setzt sich nun mit der Energiekrise fort, weshalb wir uns für die Fortsetzung des SURE-Instrument einsetzen, über welches die EU finanzielle Mittel an die Mitgliedstaaten ausgegeben hatte, um beschäftigungssichernde Maßnahmen vorzunehmen.
Zugleich fordern wir eine Europäische Arbeitslosen-Rückversicherung, die insbesondere bei auftretenden Krisen für eine soziale Abfederung bei den vielen von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen sorgt und vor Armut schützt. Sie muss den Lohnabhängigen genauso zur Verfügung stehen wie den Soloselbständigen im Dienstleistungssektor oder dem kreativen Sektor.

Die Rechte von Arbeitnehmer*innen müssen EU-weit gestärkt werden. Immer noch gibt es zu viele Schlupflöcher für Sozialversicherungsbetrug bei der Entsendung von Arbeitnehmer*innen (bspw. in der Saisonarbeit), was zu mangelnder Absicherung und prekären Beschäftigungsverhältnissen führt. Genauso setzen wir uns weiterhin für die Anerkennung der Rechte von Plattformarbeiter*innen ein, sodass beispielsweise Menschen, die bei Lieferdiensten tätig sind, nicht mehr durch die Unternehmen in die Scheinselbständigkeit getrieben werden und stattdessen sozialversicherungspflichtig angestellt werden.

Bezahlbares Wohnen ist, neben Beschäftigungsrechten und der Bekämpfung von Energiearmut, längst ein großes europäisches Thema. Städte, wie Paris, setzen auf Mietpreisbremsen oder kämpfen, so wie Madrid, erfolgreich gegen die Zweckentfremdung von Wohnraum durch Unternehmen wie Airbnb. Der europaweite Austausch ist längst im Gang und sollte endlich auch in den Europäischen Institutionen auf den Tisch.

Die Pandemie hat erstmalig eine Debatte um eine Gesundheitsunion hervorgebracht, die wir fortsetzen müssen. Weitere Schwerpunkte, die eine Europäische soziale Politik stärken, sind seit Jahren in die Regionalpolitik eingeschrieben.

7.  Regionalpolitik: Förderpolitik mit Profil

Viele Landtage, Kommunen und Regionalparlamente erleben Europapolitik als Förderpolitik für regionale Infrastrukturen, für die Entwicklung von Grenzregionen, für Projekte sozialer Inklusion und kulturellen Austauschs. Doch der soziale Ausgleich, der mit der Europäischen Struktur- und Förderpolitik erreicht werden soll, ist schwer messbar und die Richtung der Zukunftsvorhaben oft unklar, wie der 8. EU-Kohäsionsbericht, der Corona bedingt nicht nach 3, sondern erst nach 5 Jahren am 8. Februar 2022 erschien, vermittelte. Die Corona-Krise hatte schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen und zu der größten Rezession seit 1945 geführt.

Besonders spürbar ist dies vor allem für die südeuropäischen Regionen, Grenzregionen und abgelegenen Regionen sowie in den Gebieten, in denen die Struktur der Wirtschaft stark vom Tourismus abhängig ist. Glück im Unglück, denn diese Lage führte zu einer enormen Flexibilisierung des Einsatzes der EU-Gelder, zu Vorhaben, die erstmalig bis zu 100% aus dem EU-Haushalt finanziert wurden und damit klamme Kommunen nicht zusätzlich strangulierten. Grundsätzlich ist die Förder- und Strukturpolitik eines der stärksten Instrumente Europäischer Sozialpolitik, weil deren grundlegendes Ziel die Angleichung der Lebensverhältnisse in den unterschiedlichsten Regionen ist. Grundsätzlich muss auf eine Entbürokratisierung beim Beantragen von Fördermitteln hingewirkt werden, sodass möglichst viele von diesen profitieren können.

Klimaschutz & Digitalisierung: fair und für alle sind eine Dimension, die sich durch alle Förderprogramme zieht. Mit den erneuerten Förderprogrammen steht jedoch weiter die Frage, „Will die EU zurück zur Schuldenbremse?“. Als LINKE müssen wir hier klar sagen, dann verkommen die Förderprogramme zu Reparaturprogrammen einer grundsätzlichen Fehlstrategie der EU, die strategische Investitionen verhindert und überdies häufig Fördergelder in den wachsenden Kreditinstrumenten privatisiert und demokratisch unkontrollierbar macht. Am deutlichsten wird diese Strategie bei der zweifachen Revision der Gemeinsamen Agrarpolitik, die noch immer Protektionismus fördert und inkonsequent gegenüber ökologischen Kriterien ist. Die Programmprofile sollten daher klar am sozialen Zusammenwachsen der Regionen – auch weltweit – orientiert sein. Aktuelle Programmänderungen sollten durch sogenannte delegierte Rechtsakte sichern, dass das Parlament auch während der 7jährigen Laufzeit bei Programmänderungen Mitspracherecht hat und damit überlegt und nachhaltig auf Krisen reagiert.

8.  Europäische Außen- und Sicherheitspolitik statt Kleinstaaterei und Aufrüstung!

Die Europäische Union war vor dem Hintergrund der leidvollen Erfahrung zweier Weltkriege das historisch erfolgreichste Friedensprojekt. Dieser Erfolg war nur durch die Integration der europäischen Nationalstaaten möglich. Diese Integration darf angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und den damit verbundenen Rückfall in eine lang überwunden geglaubte nationalistische Expansionspolitik nicht aufgegeben werden. Im Gegenteil. Bislang ist eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Friedenspolitik keine tragende Säule der EU. Der russische Überfall auf die Ukraine hat die Überwindung der NATO in weite Ferne gerückt, wie der avisierte Beitritt von Finnland und Schweden und das Selbstverständnis der osteuropäischen Nachbarn als Teil der sog. „NATO-Ostflanke“ unterstreichen.

Man wird die NATO in absehbarer Zeit nicht überwinden können, solange nicht die friedens- und sicherheitspolitische Autonomie der EU gestärkt wird. Wenn diese Autonomie als Ticket „raus aus der NATO und ihren Kriegen“ konzipiert wird, wäre sie zudem faktisch ein Schritt zur globalen Deeskalation.
Mittelfristiges Ziel wäre eine EU, die sich unabhängiger von der Blockkonfrontation zwischen den USA auf der einen und Russland/China auf der anderen Seite macht. Das ist nicht nur die Forderung linker Parteien in Osteuropa. Es wäre auch kommunikativ eine völlig andere Ausgangslage. Dann könnte DIE LINKE tatsächlich eine dritte Position aufmachen und sich als linker Flügel des europäischen Projektes begreifen und eine solidarische Außenpolitik konzipieren. Diese dritte Position hätte zugleich mehr als wahltaktische Relevanz: Wenn wir das größte Sicherheitsprojekt der modernen Geschichte, die Rettung vor Klimakatastrophe und gesellschaftlichem Zerfall nicht Großmächten überlassen, die für unterschiedliche Varianten des Autoritarismus stehen, verbessert das die Chancen von Emanzipation weltweit und die Akzeptanz der EU als diplomatische Vermittlerin. Für fortschrittliche Ansätze wie im kurdischen Rojava könnte so ein Politikwechsel in der EU, der die Abhängigkeit vom NATO-Partner Türkei verringert, entscheidend sein.

Statt die Ausgaben für Verteidigung nur an numerischen Zielen auszurichten, sollte die EU gemeinsam militärische Kapazitäten zu ihrer Verteidigung definieren und diese in einem europäischen Rahmen entwickeln. Durch eine gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern könnten die Verteidigungsausgaben insgesamt gesenkt und gleichzeitig bessere Ergebnisse erzielt werden. Ziel sollte auch sein, die EU unabhängiger von außereuropäischen Rüstungsimporten zu machen. Eine Konsequenz dieser neuen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wäre eine Vereinheitlichung und letztlich die Verstaatlichung der fragmentierten und ineffizienten europäischen Verteidigungsindustrie.

9.  Diplomatie für den Frieden ist Teil aktiver Klimapolitik

Der russische Überfall auf die Ukraine macht deutlich: Wir müssen alles dafür tun, um die Rolle der EU bei der Durchsetzung internationaler Abrüstungsinitiativen zu stärken, um völkerrechtswidrige Alleingänge zur Durchsetzung imperialer Politik unmöglich zu machen. Die Schaffung eines globalen Sicherheitssystems, welches Militärbündnisse, gewachsen aus der historischen Blockkonfrontation des Westens mit unterschiedlichen Weltregionen, endlich überflüssig macht, ist unser erklärtes langfristiges Ziel. Dazu müssen wir im Europäischen Rahmen beitragen und das geht perspektivisch nicht ohne Russland. Das wird kein Spaziergang, zumal die UN und die OSZE, auf deren Stärkung wir setzen, selbst einer Weiterentwicklung bedürfen.

So wie wir Sicherheit vor militärischen Angriffen langfristig nur gemeinsam sichern können, so ist die Menschheit mit der größten Herausforderung auch gesamt konfrontiert: der Klimaerhitzung, dem Artensterben und anderen Herausforderungen, kurz dem Problem wie wir sicher und gut innerhalb der planetarischen Grenzen leben können. Russland ist davon wie alle Länder betroffen, das Auftauen des Permafrostbodens ist nur eines der offensichtlichen Probleme und wir verlieren durch eine Beendigung der gemeinsamen Forschungen zwischen Finnland und Russland mit Beginn des Krieges in der Ukraine täglich Daten und Wissen über die planetaren Veränderungen.
Deshalb setzen wir auch in der aktuellen Situation darauf, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine durch einen klaren Friedensplan beendet wird, der Friedensverhandlungen mit einer gemeinsamen solidarischen Klimapolitik verknüpft. Russland hat weder mit imperialen Kriegen noch mit seinem fossilen Kapitalismus eine Zukunft. Auf der Basis der Anerkennung der staatlichen Souveränität der Ukraine, der Strafverfolgung und der Wiederaufbauverpflichtungen Russlands nach dem Sterben und den Verwüstungen in der Ukraine muss es eine Friedensofferte geben, die Russland in die globale sozial-ökologische Modernisierung einbindet.
Letztlich muss die EU eine regressive Sanktionsstrategie vorlegen, die Russland gegen den vollständigen Rückzug aus der Ukraine, die zukünftige Zusammenarbeit und Belieferung mit Hochtechnologie offeriert. Es muss klar sein, dass derartige konditionierte Angebote auch die EU etwas kosten und die Solidarität mit der Ukraine, sowie ein nachhaltiger Frieden auch in ganz Europa nicht zum Nulltarif zu haben ist. Das wäre Solidarität über den Tag hinaus und würde auch uns als Friedenspartei stärken.

10.  Migration und Grundrechte

Der Europäische Rat kungelt mit Autokraten wie Erdogan und libyschen Warlords und die EU-Kommission beteiligt sich an illegalen Pushbacks von Flüchtlingen, was im April 2022 endlich zum Rücktritt von Fabrice Leggeri, dem Chef der Grenzschutzagentur Frontex führte. Seit Ende 2017 saßen diese beiden gesetzgebenden Institutionen den Vorschlag des Europaparlaments aus, das Dublin-Reglement zu renovieren, bzw. zu ersetzen. Immerhin beteiligten sich alle demokratischen Fraktionen an diesem Vorschlag, der fairere Asyl-Antragsverfahren, einen geschützten Umgang mit Jugendlichen und ein unkomplizierteres Verteilsystem in den EU-Mitgliedsstaaten vorsah. Europaweit organisierte sich seit 2015 auch das Netzwerk „Solidarity Cities“, das die zivilgesellschaftliche und kommunale Hilfe für Flüchtende qualifizierte und einen klaren Forderungskatalog von sicheren Fluchtwegen, über die Entkriminalisierung von NGOs bis zu gut finanzierter Integration an die EU-Institutionen formulierte. Denn die Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen, müssen finanzielle Unterstützung seitens der EU erhalten, um den Menschen das Ankommen bei uns zu erleichtern.

Mit der neuen Kommission wurden seit 2019 viele Versprechungen für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem europäischen Parlament angekündigt und einige Verbesserungen in Aussicht gestellt. Mit der Pandemie und der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine traten die dringenden Regelungen einer humanen Migrationspolitik in den Hintergrund der politischen Öffentlichkeit der EU. Doch Scheckbuch und Abschottung sind keine Politik, die eine universelle Grundwerte basierte Politik im Innern auch an den Außengrenzen spiegelt. Seenotrettung muss endlich entkriminalisiert werden, das Sterben der flüchtenden Menschen auf dem Meer muss endlich ein Ende haben. Klima und internationale Konflikte verlangen weiterhin, dass die EU Lösungen findet, die sowohl grundrechtlich faire Asylverfahren ermöglicht, als auch Einwanderung dauerhaft vernünftig regelt.

Wanderarbeit zwischen verschiedenen EU-Staaten, aber auch zwischen EU-Staaten und benachbarten Regionen, wird zu einem immer stärker werdenden Bestandteil der europäischen Wirtschaftsordnung. Saisonarbeit im Tourismus, in der Landwirtschaft, im Bau, im Logistikgewerbe wächst kontinuierlich. Skandale über unerträgliche Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, auf dem Bau, in der Landwirtschaft und anderen Bereichen werden immer häufiger. Die Linke fordert, dass alle diese Formen von Saisonarbeit von der ersten Stunde an voll sozialversichert sein müssen, und dass die Arbeitsschutz- und Mindestlohnregeln des jeweiligen Einsatzlandes uneingeschränkt von der ersten Stunde an gelten müssen. Es ist inakzeptabel, dass z.B. osteuropäische oder afrikanische Arbeitskräfte Jahr für Jahr im Tourismus, in der Landwirtschaft, im Weinbau und anderswo Saisonarbeit leisten, aber weder Ansprüche für ihre künftige Rente noch zum Schutz vor Arbeitslosigkeit und Krankheit erwerben, weil ihre hiesigen Arbeitgeber dafür keinerlei Beiträge zahlen.

11.  Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik

Seit dem Ukraine-Krieg steht nicht nur die östliche Nachbarschaftspolitik der EU auf dem Prüfstand. Auch die verschleppten Beitrittsperspektiven der Balkanländer sind erneut im Fokus der Erweiterung, seit der Beitritt der Ukraine und von Moldau eröffnet ist. Erweiterung muss auch Vertiefung bedeuten und hier muss die LINKE klare Vorschläge machen, dass nicht das instrumentelle ökonomische Interesse (Beispiel: Gas aus Aserbaidschan) den gesellschaftlichen Prozess einer umfassenden Erweiterungspolitik untergräbt. Ebenso muss die EU ihr Verhältnis zum NATO-Mitglied und EU-Premium-Partner Türkei klären. Der Beitritt selbst ist insbesondere durch die eingefrorenen Rechtsstaatskapitel, die Aussetzung von Visa-Freiheit und revidierter Zollunionen wie der ablehnenden Orientierung der AKP-Regierung in weite Ferne gerückt. Andererseits bindet sich die EU durch den Flüchtlingsdeal der Europäischen Rates an das AKP-Regime und schaut bei der Repression innerhalb der Türkei, sowie bei der Aggression in Nordsyrien und im Irak regelmäßig weg.

Angesichts der bevorstehenden Beitritte muss die EU nun dringlich einen Konvent und Vertragsänderungen auf den Weg bringen. Denn mit jeder Erweiterung werden auf Grund des derzeit geltenden Einstimmigkeitsprinzips jegliche Schritte in Richtung einer sozialen, ökologischen und demokratischen EU schwieriger umzusetzen. Einen Stillstand bei der Weiterentwicklung der EU wollen wir verhindern. Grundsätzlich müssen für alle Beitrittskandidaten dieselben Anforderungen gelten.

In der Nachbarschaftspolitik stehen oftmals energie- und migrationspolitische Fragen im Vordergrund. Doch weder Migrationsabwehr noch die damit oft verbundene militärische Zusammenarbeit (Mali, Niger), die besonders die Nachbarschaft im Süden (Nordafrika) betreffen, sind Politiken, die eine ernsthafte Nachbarschaftspolitik auf Augenhöhe begründen. Hier sollte DIE LINKE klare Zeichen gegen eine ökonomisch intendierte Interessen geleitete Nachbarschaftspolitik setzen, die letztlich den Europäischen Binnenmarkt abschottet. Demokratisierung und Rechtsstaatsdiskurse sollten von den NGO und Zivilgesellschaften, von der kritischen Opposition in den Nachbarstaaten mitbestimmt werden. Medienfreiheit, Bildung, Teilhabe an Europäischer Öffentlichkeit aus der Perspektive der Nachbarstaaten sind umfassend zu fördern.

Jörg Detjen, Frederike-Sophie Gronde-Brunner, Konstanze Kriese,
Manuela Kropp, Roland Kulke,
Rüdiger Lötzer, Jens Neumann, Alex Veit

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