Was den derzeitigen Zustand der Partei anbelangt, sind sich erstaunlicherweise fast alle einmal einig – er nähert sich galoppierend dem der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit.
Warum ist das so?
Schon in der PDS, aber stärker noch in der Partei DIE LINKE konnte zu einer grundlegenden Frage niemals auch nur annähernd Einigkeit erzielt werden: Fühlen und verstehen wir uns dieser Gesellschaft zugehörig und agieren in ihr? Oder wollen wir mit diesem kapitalistischen System und seinen Institutionen nichts zu tun haben?
Das ist keine abstrakte Fragestellung, sie bestimmt das eigene politische Handeln ganz wesentlich. Die Kommunistische Plattform, diverse Strömungen und weitere Plattformen hatten sich in der Partei entwickelt, zunehmend nebeneinander und im Gegen-, nicht im Miteinander. Selbstbeschäftigung und innerparteiliche Streitereien grundlegender wie auch kleinlicher Natur waren und sind die Folge. Und es wurde immer schlimmer, fand schließlich mit dem 24. Februar 2022 und all seinen Folgen einen vorläufigen Höhepunkt.
Schritt für Schritt ging damit gesellschaftlicher Einfluss verloren, weil wir uns zu fast allen wichtigen Fragen in Formelkompromisse flüchteten und so gesellschaftliche Verankerung verloren haben. Themen wie soziale Gerechtigkeit, Frieden, Ostinteressen etc. sind doch unverändert von Bedeutung, aber offenbar können wir sie nicht mehr so buchstabieren, dass wir verstanden werden. Nicht das Allgemeine ist falsch – das Konkrete erfordert konkrete Antworten, die zu geben wir offenbar immer weniger in der Lage sind. In der Folge haben sich viele Menschen abgewandt, wir sind irgendwie langweilig geworden.
Wir formulieren so gerne, die Leute müssten mitgenommen werden. Wichtiger aber – sie müssen die reale Möglichkeit sehen, selbst handeln zu können. Linke wie DIE LINKE dürfen nicht länger so tun, als ob ohne breiteste Bündnisse, in denen verschiedenste Kräfte von Beginn an mitwirken können, gesellschaftliche Veränderungen zum Besseren hin überhaupt noch zu erreichen sind. Und da gibt es so viele, mit denen wir uns nicht nur zusammentun können, sondern zusammentun müssen. Was sonst wäre der geforderte offene gesellschaftliche Diskurs?
Wenn es uns nicht gelingt, Menschen auch im Politischen Selbstermächtigung als Weg aufzuzeigen, und zwar ohne Vorfestlegungen, werden wir über kurz oder lang überflüssig sein. Es ist doch nicht so, dass Veränderungen nicht möglich sind. Die scheitern letztlich nicht zuerst an „fehlendem politischen Willen“, sie scheitern an fehlendem öffentlichem und gesellschaftlichem Druck. Aus der Resignation holen wir Menschen nicht durch Reden, sondern vor allem durch gemeinsame Aktionen mit Aussicht auf Erfolg. Den können wir erzielen, wenn wir versuchen, genau solche Wege zu betreten, raus in die Gesellschaft, Werben für unsere Ziele, unsere Projekte, und das auch immer ergebnisoffen – wir sind nicht Avantgarde. Gesellschaftliche Akzeptanz und wirksames gesellschaftliches Handeln können nur aus der Gesellschaft selbst erwachsen, also rausgehen, vorschlagen, diskutieren und versuchen, etwas in Gang zu setzen, gemeinsam.
Und deshalb:
- Wir werden als Partei wieder Boden gewinnen, wenn wir an den Anfang jeglichen politischen Handelns klare, nachvollziehbare und erreichbare Ziele setzen. Wem nützt eine LINKE, die aus vielerlei Gründen jetzt nicht durchsetzbare Maximalforderungen erhebt? Die mögen ja gut klingen, aber wen erreichen wir damit? Die Menschen haben vielleicht ein weitaus genaueres Gefühl dafür, was gerade möglich ist, und was nicht … Was für sie gerade wichtig ist. Oder was nicht. Und es bedarf zur Erreichung selbst dieser vielleicht erreichbaren Ziele vieler Partnerinnen und Partner. Die können wir gewinnen, wenn wir rechtzeitig mit Betroffenen, mit potentiell Verbündeten reden, ohne ihnen Vorformuliertes zu präsentieren und zu erwarten, dass sie das toll finden.
- Direkt dazu gehört, dass wir die tatsächliche Situation, die wir verändern wollen, so einschätzen, wie sie ist. Ohne moralisierende oder ideologische Scheuklappen. Nur dann existiert überhaupt eine Chance, die richtigen Hebel zu finden, an denen wir gemeinsam mit anderen ansetzen können. Das erfordert auch, darüber nachzudenken, wie wir mit Prinzipien und Prinzipienfestigkeit umgehen. Jede konkrete Situation erfordert eine konkrete Überprüfung der Tauglichkeit. Das redet nicht der Prinzipienlosigkeit das Wort, vielmehr geht es darum, dass so Prinzipienreiterei oder gar Dogmatismus vermieden werden können. Allein der Angriffskrieg Russlands bietet da eine Menge Stoff zum Nachdenken.
- Wir müssen endlich ernsthaft darüber reden, was Regierungsverantwortung bedeutet. Und da geht es eben in der Tat nicht darum, in einer zeitlich begrenzten Periode die Welt nach dem Parteiprogramm zu verändern. Es geht vielmehr darum, in einem begrenzten Zeitraum zunächst einmal das Notwendige zu tun. Und das können oftmals eher kleine Brötchen sein. Und natürlich gibt es je nach politischer Ausrichtung sehr verschiedene Perspektiven darauf, was denn notwendig ist. Nur ein Gedankenexperiment: Vielleicht könnte es DIE LINKE in bundespolitischer Regierungsverantwortung tatsächlich bewirken, das Bürgergeld um sagen wir einmal 200 Euro zu erhöhen. Das kapitalistische System würde damit noch lange nicht in Frage gestellt, für Millionen Menschen aber würde es den Schritt in ein menschenwürdiges Leben bedeuten. Und natürlich sollte es möglich oder gar normal sein, wenn es gesellschaftlichen Protest auch gegen eine Regierung gibt, an der DIE LINKE beteiligt ist. Nicht Regierungen pflegen die Systemfrage zu stellen, die muss schon aus der Gesellschaft heraus gestellt werden.
- Eine Partei wie DIE LINKE sollte auf Selbstzuschreibungen verzichten. Ob etwa eine Partei einen „Gebrauchswert“ hat, kann sie nicht selbst festlegen, das kann nur von anderen beantwortet werden. Und ob eine Partei etwa das „soziale Gewissen“ eines Parlaments ist, das sollten ihr denn schon andere zuschreiben, nicht sie sich selbst. Derlei können wir uns erarbeiten, nicht aber selbst als Etikett anheften.
- Schlussendlich – wir haben seit längerem das Ökonomische und damit wichtige wenn nicht entscheidende Wurzeln gesellschaftlichen Funktionierens vernachlässigt. Dabei gibt es Quellen, aus denen wir schöpfen können, in nicht wenigen Bereichen der Wissenschaft, mit solchen Publikationen wie OXI (bisher regelmäßig im ND nachzulesen), in der Arbeit von Stiftungen. Das werden wir uns aneignen müssen, wenn wir gesellschaftliche Entwicklungen verstehen und vor allem auch beeinflussen wollen.
Als progressive Linke wollen wir in der (nicht nur Medien-) Öffentlichkeit nicht mit Streit, Spaltungsversuchen und -vorwürfen stattfinden, sondern mit Lösungsvorschlägen. Wir wollen eine Debatte um diese Lösungsvorschläge – eine solidarisch geführte Debatte. Eine Debatte, in der nicht die Schrillen und Lauten dominieren, sondern die Nachdenklichen. Die Progressiven. Jene, die Gesellschaft nicht nur abwertend beschreiben, Aktive diskreditieren, sondern die sie gestalten möchten. Für und mit denen, die von den Auswirkungen immer neuer gesellschaftlicher Krisen betroffen sind. Für eine Zukunft, an der Alle teilhaben. Und auch deshalb sollten wir uns von Formulierungen der Art „Ich mache Politik Für Sie“ oder ähnlichen trennen, nicht nur in Worten, vor allem auch im Denken. Entweder, es gelingt uns, Politik mit den Menschen zu entwickeln und umzusetzen, oder wir werden weiter in Richtung Bedeutungslosigkeit treiben. Eine Stimme für Ausgegrenzte, für Abgehängte können wir durchaus auch sein, aber das müssen die Betroffenen selbst wünschen, ansonsten wird diese Stimme verhallen. Das erfordert Zeit und konkretes Agieren im Kleinen, Graswurzelarbeit. Daraus können neues Vertrauen und eine neue Verankerung in der Gesellschaft erwachsen, gerade auch angesichts zu erwartender Verschärfungen von gesellschaftlichen Konflikten. Darin sollte für DIE LINKE eine Chance liegen, die es zu nutzen gilt.
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