Resolution der progressiven Linken zum Krieg in der Ukraine

Links, solidarisch, realistisch, progressiv: Für die Selbstbestimmung der Ukraine und das Völkerrecht, gegen Autoritarismus und das Recht des militärisch Stärkeren!

Mit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat Russland unter Präsident Putin Grenzen in Europa gewaltsam verschoben, die Souveränität eines UN-Mitgliedsstaates eklatant verletzt und das Völkerrecht gebrochen, weshalb die Ukraine unsere Unterstützung benötigt. Linke in und außerhalb von Parteien, die sich jahrzehntelang gegen Imperialismus, Kriegspolitik, Militarismus und Aufrüstung engagierten, wurden von diesem Überfall kalt erwischt. Die Leitbilder „Frieden schaffen ohne Waffen“, „Schwerter zu Pflugscharen“, aber auch die internationale Solidarität mit Kämpfen für Befreiung und Unabhängigkeit sind seitdem auf eine harte Probe gestellt. Darum braucht es eine Linke, die keine doppelten Standards anwendet, die sich konsequent am Kompass des Völkerrechts orientiert.  Die UN-Charta kann nicht nur geltend gemacht werden, wenn es gegen die alten Gegner geht. Das Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta nimmt die ukrainische Bevölkerung zu Recht in Anspruch.

Die Gesellschaft braucht eine Linke, die einen realistischen Weg zu einem nachhaltigen  Frieden aufzeigt, der die Integrität der sich verteidigenden Ukraine anerkennt. Dabei wissen wir als progressive Linke, dass es noch viele Fragen gibt, wie dies erreicht werden kann und wie der Weg zu einer europäischen und globalen Friedensordnung gebahnt werden kann. Dazu eröffnen wir die Debatte und laden alle Interessiert:e ein.

Dabei gilt es nüchtern zu analysieren, wie es zu diesem Krieg kommen konnte und mit welchen weltpolitischen Veränderungen wir es zu tun haben. Ein Generalverdacht gegen den Westen führt nicht weiter; niemand außer Putin ist mit seiner Armee in der Ukraine eingefallen. Die heutige Welt ist keine Verlängerung der Dispositionen des Kalten Krieges und deren Nachwehen in den 90er Jahren, in denen viele Linke in West und Ost sozialisiert wurden. Linke Positionen, auch und gerade zu Kriegen, müssen sich auf linke Grundwerte und das Völkerrecht stützen, statt die Feindbilder der Vergangenheit zu pflegen. Mit dem imperialistischen Russland werden wir uns befassen müssen, ohne unsere Kritik an der imperialen Politik westlicher Staaten zu vergessen.

Die Linke hat nach Ende des Kalten Krieges im hochgerüsteten „Westen“ die größere Gefahr gesehen und dagegen mobilisiert, ob beim Einmarsch in Afghanistan oder beim Irak-Krieg. Zu Recht. Es war die Zeit der alleinigen Weltmacht USA, die Hochzeit der Neocons, des „Krieges gegen den Terror“, des Stillstandes in Abrüstungsfragen, dem Verschleppen nachhaltiger Klimapolitik, der Durchsetzung neoliberaler Handels- und Schuldenpolitik. Jedoch müssen die Blindstellen, die schon damals im linken Weltbild existierten, auf den Tisch. Massen- und Völkermorde in Srebenica und Ruanda konnten geschehen, weil die UNO von den Mitgliedsstaaten im Stich gelassen wurde und daher nicht angemessen eingreifen konnte. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass damals Gewalt durch den resoluten Einsatz von UN-Blauhelmen hätte verhindert werden können. Den Betroffenen war mit dem Hinweis auf die koloniale Vorgeschichte oder die spätere westliche Einflussnahme nicht geholfen. Die Frage, wie eine handlungsfähige UNO zustande kommen kann, wurde von links nur unzureichend beantwortet. Oft erleben die Betroffenen mörderische Geopolitik durch nicht-westliche Staaten wie den Iran, Saudi-Arabien oder der Türkei und erwarten mehr Solidarität durch die westeuropäische Linke. Diese tut sich, wie das Beispiel des kurdischen Kampfes um Rojava gezeigt hat, mit bewaffnetem Widerstand indes schwer. Dabei hat die internationalistische Tradition linke Parteien und Bewegungen in den siebziger und achtziger Jahren geprägt. Wir müssen diskutieren, was daran richtig, was daran falsch war, wie diese Solidarität heute zu gestalten ist. Es bleibt ein richtiger Grundsatz für jegliche Konfliktbearbeitung, alle nicht-militärischen und gewaltfreien Mittel der Politik auszuschöpfen. Aber wie verhalten wir uns, wenn mit diesen Mitteln brutale Gewalt und Unterdrückung nicht aufgehalten werden können? Was ist dann legitim, was unvermeidbar? Diese Debatte müssen wir hart in der Sache aber frei von Denunziationen führen. Das schließt die streitbare Auseinandersetzung über die Frage mit ein, wie wir zu Waffenlieferungen stehen.

Eine selbstkritische Debatte über linke Irrtümer ist gerade beim Thema Ukraine angesagt. Aktuell wird Russlands Verantwortung als Akteur und Verursacher seiner völkerrechtswidrigen Expansionspolitik relativiert, wenn Linke sagen: „Wir verurteilen den russischen Krieg gegen die Ukraine ohne wenn und aber. ABER…“. Das bloße Eingeständnis, sich getäuscht zu haben, wird nicht ausreichen. Auch wir haben das post-imperiale Trauma Russlands unterschätzt, das Putin den Weg zur Macht und die Etablierung eines autoritären Regimes ermöglichte. Auch wir haben nicht ausreichend gesehen, dass die Chance einer Stabilisierung des Landes durch fossile Rohstoffexporte und Waffenausfuhr von Putin und seinem Regime so interpretiert wurde, das alte russische Reich auf Kosten seiner Nachbarn wiederherstellen zu wollen. Bei der Aufarbeitung dieser Geschichte sollten wir den Erfahrungen der Länder Osteuropas mehr Aufmerksamkeit schenken. Diese werden auch von dortigen Linken reflektiert, die schon seit Langem vor der autokratischen Herrschaft in Russland und der davon ausgehenden post-imperialen Geopolitik gewarnt haben.

Die Aussage, dass auch der gegenwärtige Krieg durch Friedensverhandlungen beendet werden muss, entspricht auch unserer Sicht.Alle ernsthaften diplomatischen Bemühungen, wie z.B. die von China oder Lula, finden unsere Unterstützung. Dabei ist zum Einen zu klären, wie man zu solchen Verhandlungen kommt. Zum Anderen ist zu prüfen, wie eine Lösung aussehen könnte, die dauerhaft ist und längerfristig Chancen für eine fruchtbare Zusammenarbeit aller Beteiligten bietet. Dabei kann es nicht um die Details gehen, die zwischen der Ukraine und Russland ausgehandelt werden müssen, sondern um Grundbedingungen. Das Ziel eines gerechten Friedens auf der Basis der UNO-Charta beinhaltet, die territoriale Unversehrtheit der Ukraine wiederherzustellen, einschließlich des Rückkehrrechts für Geflüchtete. Alles andere liefe darauf hinaus, eine gewaltsame Revision der Staatengrenzen in Europa zu belohnen. Die Rechte der ethnischen Minderheiten v.a. im Osten der Ukraine sind vertraglich zu sichern.

Eine Verhandlungslösung wird den Rückzug der russischen Truppen und die Aufhebung der Annexionen beinhalten müssen. Putin ist von der überwältigenden Mehrheit der UN-Generalversammlung genau dazu aufgefordert worden, doch gegenwärtig ist die Regierung in Moskau nicht bereit. Stattdessen hat sie den terroristischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung durch die Angriffe auf die Infrastruktur der Ukraine noch verschärft. Sie verfolgt offenkundig weiter das Ziel, sich Gebiete des Landes einzuverleiben und die Ukraine zu einem Satellitenstaat zu unterwerfen. Daher ist die konsequente Anwendung und der Ausbau der Sanktionen, die die Fähigkeit Russlands, Krieg zu führen, mehr und mehr untergraben, von großer Bedeutung. Solange Russland glaubt, seine Kriegsziele auf dem Kriegsschauplatz erreichen zu können, erscheint ein Einlenken höchst unwahrscheinlich. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, gilt es ohne Tabus zu diskutieren. Dass dabei auch die Eskalationsrisiken und die schlimmen Folgen für die Zivilbevölkerung mitbedacht werden müssen, steht außer Frage.

Internationale Solidarität schließt Bevormundung aus, Kritikfähigkeit nicht. Es gibt keinen Grund, sich Illusionen über die innergesellschaftliche Lage der Ukraine zu machen. Auch dort herrscht der Oligarchenkapitalismus, sind Bestechung und Bestechlichkeit an der Tagesordnung, haben neoliberale Auflagen von außen zur Aushöhlung von gewerkschaftlichen Rechten beigetragen. Aber es gibt eine aktive Zivilgesellschaft und die Bereitschaft, die Keimformen einer lebendigen Demokratie, die es vor dem Krieg gab, auszubauen. Die Annäherung an die Demokratien des Westens kann dabei helfen. Vor allem aber gilt: Eine Chance, die Versprechen der politischen und menschlichen Emanzipation einzulösen, erhalten die Ukrainer:innen nur, wenn verhindert wird, dass die Ukraine zu einem Putin-hörigen Vasallen-Staat gemacht wird, und wenn ein Friedensschluss ihnen die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Leben in einem souveränen Staat gibt. Der Ukraine perspektivisch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu eröffnen, sollte als politisches Ziel mit Nachdruck verfolgt werden.

Der Beendigung des Krieges sollte keine neue Konfrontationsära zwischen hochgerüsteten Blöcken Ost und West folgen. Über den Krieg hinaus denken heißt für uns, Perspektiven einer globalen Sicherheitsordnung zu eröffnen – ohne einen neuen weltweiten Rüstungswettlauf. Wir brauchen energische Schritte zum völligen Verzicht auf Atomwaffen (Atomwaffenverbotsvertrag!) und neue Initiativen zur Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung. Mit der Stärkung des Gewaltmonopols der UNO würden zugleich Voraussetzungen geschaffen, um alle exklusiven Militärbündnisse auflösen zu können. Und wir brauchen eine globale Kooperation, um die sich verschärfenden globalen Probleme lösen zu können. Alle materiellen und menschlichen Ressourcen, die für Rüstung eingesetzt werden, fehlen beim überfälligen ökologischen Umbau und dem Ausbau sozialer Infrastrukturen in allen Gesellschaften. Diese Verschwendung können wir uns nicht länger leisten. In diesem Zusammenhang können dann auch weitreichende Angebote an die Russische Föderation, Sanktionen aufzuheben, die wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit erneut aufzunehmen und das Land wieder in die internationalen Institutionen zu integrieren, ein sinnvoller Weg sein. Es geht um Signale an die russischen Bürger:innen, ein Russland ohne Großmachtchauvinismus und Putin-Herrschaft im Europäischen Haus und einer friedlichen Weltgemeinschaft Willkommen zu heißen.

Auf diesem Weg werden wir uns auch mit den „Kalten Kriegern“, illiberalen Kräften und bornierten Wirtschaftsinteressen im eigenen Lande, in der Europäischen Union und global auseinandersetzen müssen.

Eine Linke wird gebraucht, die das Recht des Stärkeren durch die Herrschaft des (internationalen) Rechts überwinden will, die für die Ächtung von Krieg und Gewalt eintritt und für die Grundrechte und Freiheiten der Menschen streitet.